Wir suchen noch immer nach Schuldigen.
Sicherlich gibt es Leute, die mit ihrem Verhalten das Risiko einer Übertragung vergrößern oder verringern. Aber es handelt sich nur um Wahrscheinlichkeiten.
Die Untersuchung, aus welchem Grund jemand Corona bekommen hat, ist natürlich sinnvoll, um ähnliche Fälle zu vermeiden.
Sie ist aber sehr gefährlich, wenn wir daraus machen
„Die haben mit 150 Leuten Türkenhochzeit gefeiert.“ oder „Das sind die blöden Raver.“ oder ähnliches
Es gibt eine alte Dystopie namens Erewhon. Da werden die Leute bestraft, die krank werden, und Verbrecher werden so behandelt wie bei uns Kranke.
Teilweise kommt mir das so vor. Deswegen noch mal: wenn jemand Corona-krank ist, dann ist das erstmal Pech. Und es gibt sicherlich begünstigendes Verhalten, aber es gibt keinen mir bekannten Fall, wo einer aus Spass eine Virenkultur zu sich genommen hat, um krank zu werden.
Wir haben mittlerweile aber unsere Schuldigen – und zwar ohne eine sinnvolle Untersuchung.
In 75% der Fälle wissen wir nicht, woran es lag. In den wenigsten mir bekannten Fällen waren es einfach nur feierwütige.
Trotzdem wird immer wieder vor den privaten Feiern gewarnt, die ganz, ganz schlimm sind und ganz, ganz viele Fälle verursacht haben.
Wer privat feiert, ist böse. Was jetzt feiern ist, bleibt jedem dabei selbst überlassen. Grillen mit dem besten Freund? Könnte schon feiern sein…
Dabei fällt mir auf, dass an allen möglichen Schulen von eigenen Kindern und Bekannten Corona-Fälle auftauchen, aber da muss man nix machen – werden ja Masken getragen.
Gefühlsmäßig und mittlerweile auch in der Berichterstattung auffällig erscheinen mir allerdings die Schulen gefährlicher zu sein als Feten… vielleicht kenne ich aber einfach zu viel Schüler und zu wenig Feiernde…
Trotzdem sagt mir das Gefühl, dass momentan gerne die Rolle der Schulen heruntergespielt und dafür die Feiernden als Übeltäter präsentiert werden, um damit zu begründen, warum man einerseits die harten Corona-Maßnahmen treffen kann (Bussgelder, wenn es 3 Haushalte sind. Yeah!), andererseits aber die Schulen offen halten kann.
Und weiter sagt mir das Gefühl, dass uns das noch schwer auf die Füsse fallen wird.
In Schweden wird übrigens – zumindest so wie ich das mitbekommen habe – tatsächlich sinnvoller argumentiert:
„Ja, das Risiko, wenn wir die Schulen aufhalten, ist natürlich größer, aber für uns ist die Bildung wichtiger.“
In Deutschland sagt das momentan kaum ein Politiker…
Ich habe auch schon gehört: „Die Schulen müssen offengehalten werden, weil sonst die ganzen Eltern protestieren, die ihre Bratzen nicht loswerden.“
Da ist natürlich wieder ein Feindbild drin (wie oben die Feiernden) – die bösen Eltern, die zwar poppen, aber kein Bock auf ihre Kinder haben. Und die Überlegungen kommen einfacher auf, wenn man merkt, dass die Politiker nicht bei der Wahrheit bleiben – dann wird halt spekuliert…
Deswegen:
wir müssen uns bewusst sein und auch offen drüber reden, dass die Schulen eine gute Möglichkeit sind, um Corona zu verbreiten. Genauso wie ÖPNV oder Arbeitsplätze.
Wir müssen die Diskussion offen darüber führen, was uns wichtig ist – Bildung, „echte“ soziale Kontakte, Schutz vor Infektionskrankheit, Wirtschaft …
Und wir müssen aufhören, krampfhaft Sündenböcke zu suchen. Die Situation ist schon Scheisse genug.