Wenn mich mal einer besuchen will, muss ich ihn warnen. Wir bauen eine Südumgehung, da kann es mal zu Verkehrsstockungen kommen. Wenn dann mal die Spaten anfangen. Ich rechne nicht mit Baggern, da werden wirklich Spaten benutzt. Wir bauen nämlich seit 40 Jahren. Selbst in der Planwirtschaft klappte das schneller.
Allerdings hat das natürlich auch einen Hintergrund: wir streiten nämlich über die Südumgehung. Wir Nord-Mörfeldener und Mitte-Mörfeldener und Süd-Mörfeldener. Wir Süd-Mörfeldener wollen keine Südumgehung. Eine Nordumgehung täte es auch. Die Nord-Mörfeldener wollen natürlich eine Südumgehung. Und die Mitte-Mörfeldener wollen endlich nicht mehr vor 40-Tonnern zur Seite springen und wollen deswegen eine Umgehung. Da ihnen politischerweise erklärt wird, das ginge nur im Süden, sind sie für die Südumgehung.
Es geht auch wirklich nur im Süden. Im Norden gibt es zwar schon Ansätze einer Umgehungsstraße, die durchs Industriegebiet statt am Wohnviertel vorbeigeht. Aber im Norden müsste Bannwald gefällt werden. Bannwald: das ist Wald, der nicht gefällt werden darf, weil der Flughafenbetreiber versprochen hat, da auf keinen Fall Bäume zu fällen. Es irritiert vielleicht ein bisschen, dass der Bannwald soweit im Süden ist, dass die Flughafenchefs schon überlegen, ob es Sinn macht, den mit Auto oder Flugzeug zu besuchen. Der ursprüngliche Bannwald musste aber für die neue Startbahn gefällt werden, da musste man stattdessen einen Ausweich-Bannwald ausweisen. Für irgendwelche Kieswerke kann hier auch Bannwald kaputtgebaggert werden. Nur nicht für Umgebungsstraßen. Da geht es um die Belange der Bürger, nicht um die der Wirtschaft.
Die Parteien Mörfeldens sind sich einig: die Südumgehung muss her. CDU, FDP, SPD… die FDP hatte nicht mal ein anderes Thema im letzten Kommunal-Wahlkampf. Der geplante Damm an der Südumgehung sollte auch schon den Namen 5%-Hürde kriegen, die Mörfeldener FDP kam da nicht rüber. Leider gibt es bei örtlichen Wahl keine 5%-Hürde. Dabei hätte man so schön nach dem Wahlslogan „Nur die Südumgehung bringt Entlastung“ frohlocken können: jetzt sind wir voll entlastet von der FDP.
Wir haben sogar eine Stadtregierung, die eine Umleitung für die gesperrte innerörtliche Bundesstrasse 486 durch die schon vielbefahrene und genauso viel bewohnte und befussgängerte Gerauer Straße führte, nicht durch das Industriegebiet, weil das die ganze Argumentation für die Südumgehung kaputtmachen könnte. Natürlich kann man das mit allen möglichen Verfahrenstechnischen Tricks begründen. Es ist nur schwierig, es mit dem Menschenverstand zu begründen. Und jetzt frag ich mich, warum meine Generation politikverdrossen ist.
Die Politikverdrossenheit begründet sich auch in der jetzigen Planung der Südumgehung. Es wurde auf alle Einwände der Bürger eingegangen. Deswegen wurden diese auch nicht mehr benachrichtigt, wenn mal wieder eine Frist ablief.
Es wurden wirklich sämtliche Einsprüche sinnvoll bearbeitet. Zum Beispiel hatten Leute darauf hingewiesen, dass die Idee, den hin und wieder mal etwas größeren Hegbach durch einen Damm vom Wald abzuschneiden, hin und wieder bei ihnen zu Wasserbetten führen könnte. Reaktion: der Bach wird sinnvollerweise hinter den Damm verlegt. Im Gewerbegebiet. Bei den Wohnhäusern wird er dann für ein kleines Intermezzo vor den Damm geholt. Mit einem 90 Grad-Knick im Verlauf.
Auch die Vorteile der Südumgehung für die Südmörfeldener muss man bedenken: sie kämen nicht mehr aus Mörfelden raus. Die Straße nach Darmstadt, momentan in 1 Minute erreichbar, würde gekappt. Man müsste dann erst mal in 5 Minuten Fahrtzeit östlich aus Mörfelden raus, um in höchstens 100 Metern Luftlinie am eigenen Haus vorbeizufahren – wobei man es wegen des Lärmschutzwalls glücklicherweise nicht sehen könnte.
Ein anderer Vorteil ist die Abschaffung des Frauenfussballplatzes, der der Umgehung weichen muss. So wie die deutschen Frauen bei der letzten Weltmeisterschaft gespielt haben…
Der Einwand, die Frischluftzufuhr nach Mörfelden wäre durch die Lärmschutzwand gefährdet, konnte abgewiegelt werden. Die Wand ist mittlerweile so hoch geplant, da braucht man sich um Frischluftzufuhr keine Gedanken mehr machen.
Selbst die Freunde der gemeinen Fledermaus wurden bedacht. Mit Fledermauszäunen. Ein ganz einfaches Konzept: um die Fledermäuse zu schützen, wird über den Damm noch ein Zaun angelegt, natürlich auf jeder Seite direkt über der Lärmschutzwand. Damit die Fledermäuse, wenn sie mal über die Straße fliegen, garantiert auch nicht mehr rauskommen.
Wenn ich aber ganz ehrlich bin: eigentlich würde ich mir diesen Streit über Krötenüberführungen und Fledermaustunneln sparen. Mir reicht es schon, dass Menschen beeinträchtigt werden.
Meine Lieblingslösung ist wie folgt: wir sperren die Politiker erst mal ein paar Jahre im Rathaus ein. Währenddessen müssten die Süd-Mörfeldener eine Südumgehung planen und die Nord-Mörfeldener eine Nordumgehung. Jeweils eine, mit der sie leben könnten. Und die schlechtere Lösung wird dann gebaut. Damit sich alle mal so richtig anstrengen.