Schlafentzug

Thomas Middelhoff kann nicht schlafen. Er wird alle 15 Minuten geweckt, damit man gucken kann, ob er nicht versucht, Selbstmord zu verüben.
Generell ist da natürlich nichts gegen zusagen. Wenn ich an die Karstadt-Mitarbeiter denke, die aufgrund seiner Management-Fehler monatelang Schlafstörungen hatten, dann reicht in diesem speziellen Fall nicht aus, wenn Middelhoff sein ganzes Leben nicht mehr schläft.
Auf der anderen Seite frage ich mich, warum wir gegen Guantanamo protestieren, wenn wir die gleichen Methoden anwenden.
Dann kenne ich auch eine Menge Krankenhäuser, wo die Leute so komische Geräte tragen, mit denen man die Vitalfunktionen kontrollieren kann. Das gibt es aber wohl für Strafgefangene nicht. Gut, da kann man auch mit Datenschutz argumentieren. Aber da könnte ja jeder Häftling selbst entscheiden: will ich das oder geweckt werden.
Gemacht wird das, weil für Middelhoff Suizidgefahr besteht. Das sagt jetzt kein Psychologe, der ihn untersucht hat, das sagt die Vergangenheit in den Strafanstalten. Denn Leute wie Middelhoff, die von so großem Ross fallen, neigen zu Suizid.
Nach einem Monat Schlafentzug würde ich das wahrscheinlich auch.
Wobei auf der anderen Seite die Frage ist: dürfen wir überhaupt jemandem Selbstmord verbieten oder maßen wir uns da was an?
Ein großes Thema ist der Germanwings-Absturz, bei dem der Co-Pilot scheinbar erweiterten Selbstmord begangen hat. Schon versuchen sich Politiker und Stammtisch zu übertreffen.
Wobei: Ich muss mal auf die Seite von De Maiziere treten. Er will eine Ausweispflicht für alle Flüge im Schengenraum. Denn nach dem German Wings-Unglück habe man gar nicht gewusst, wer alles im Flugzeug gesessen habe. Das störte bei der Aufklärung.
Das würde bei einem Bahnunglück nie vorkommen.
Ich sehe da auch kein Problem. Ich würde sogar weitergehen: mit dem elektronischen Ausweis könnte man sich auch bei allen Bahn- und Autofahrten anmelden. Natürlich weiß der Staat dann wo wir alle sind.
Aber wir haben doch nichts zu verbergen. Und der Staat ist ja auch ein guter.
Schlecht wäre es natürlich, wenn ein böser Staat – sagen wir mal: Adolf ist zurück – diese Informationen hätte. Aber der böse Staat würde es ja sowieso einführen, warum machen wir das nicht jetzt, wenn wir noch einen guten Staat haben, und nutzen die Vorteile.
Ich dachte immer, dass man einen bösen Staat leicht erkennen kann, weil er die Freiheit seiner Bürger einschränkt. Aber irgendwie scheint das nicht so das richtige Kriterium zu sein.
Immerhin: Sigmar Gabriel behält die Übersicht, und er hat Recht: wir brauchen eine Vorratsdatenspeicherung. Sigmar Gabriel ist davon überzeugt, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die NSU geholfen hätte. Ich bin mir sicher: er hat Recht. Mit der Vorratsdatenspeicherung wären so viele Daten zusammengekommen, die ermittelnden Behörden wären mit der Datenschredderung einfach nicht mehr hinterhergekommen.
Sein letzter Grund für Vorratsdatenspeicherung war übrigens Charlie Hebdo. Zur Erinnerung: Frankreich hat Vorratsdatenspeicherung, außerdem lagen über die Täter eine Menge Informationen vor. Das hat den Anschlag verhindert, wie wir uns erinnern. Moment… Spannend in dem Zusammenhang NSU und Charlie Hebdo ist, dass den Behörden auch ohne Vorratsdatenspeicherung viele Informationen vorlagen, sie aber nicht die Schlüsse gezogen haben, um beide Tatserien rechtzeitig zu stoppen. Spannend ist die Parallele zu Gabriel: ihm liegen eine Menge Informationen vor, dass Vorratsdatenspeicherung nicht hilft – und zwar genau bei den Taten, die er als Argumente nimmt. Anders gesagt: Informationen haben wir über die meisten Themen genug – wir haben nur keine Ahnung, wie man die auswertet. Und zwar von der Regierung angefangen.
Ein anderer Wunsch: bei Flugkapitänen muss die Schweigepflicht der Ärzte entfallen. Bei allen gefährlichen Berufen, bei denen das Leben von anderen Menschen vom eigenen Tun abhängt, müssen Tendenzen wie Selbstmordgefahr oder Alkoholismus dem Arbeitgeber gemeldet werden. Also bei Flugkapitänen, Taxifahrern, Lokführern, Politikern, Bäckern, Altenpflegern, Telefondesinfizierern, Lebensmittelverkäufern, Bauern, Kurierfahrern, Medienvertretern und anderen Rufmördern, Rennfahrern, Soldaten, Förstern, Selbstmordattentätern, Krankenschwestern, Ärzten, Bänkern, Informatikern.  Karrikaturisten und Gewerkschaftsvertreter glaube ich nicht.
Und neben den Berufen dann noch bei Autofahrern, Motorradfahrern, Segelfliegern, Fußgängern….
Schade, dass man dann dem Arzt nicht mehr seine Probleme berichten kann, ohne Angst zu haben, dass der was weitererzählt. Dann kann der auch nichts mehr gegen die Probleme tun.
Man muss aber nicht ein Flugzeug gegen einen Berg fliegen. Bild am Sonntag und der Schuldirektor der toten Halterner Schüler stellten die Frage: warum wirft er sich nicht vor einen Zug? Das ist dann gesellschaftsfähig.  Den Rektor nehme ich in Schutz, der dürfte noch unter Schock stehen, da sagt man auch Dinge, die man mit Nachdenken sein lassen würde. Ein Selbstmord vor dem Zug ist nicht akzeptabel. Damit kann man das Leben von Fremden genauso zerstören. Und damit meine ich nicht, dass Tausende von Menschen zu spät kommen, weil wieder ein Streckenabschnitt gesperrt wurde. Nein: die Anzahl der Lokführer, die ihren Job machen, weil sie Menschen von A nach B bringen wollen und nicht weil sie unbedingt als Sterbehelfer fungieren wollen, und die daran zerbrechen, weil ihr Zug einen Menschen getötet hat, ist nicht gering. Auch die Zugbegleiter, die sich das Massaker angucken dürfen oder der Aufräumtrupp könnte sich schöneres vorstellen.

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