Deutschland wurde für die Feiern rund um die Einheit gelobt. Was haben wir da nicht gehabt: die obersten Schnittchenesser trafen sich in Bremen. Warum? Bremen – das Herz der deutschen Einheit? Oder als Ansporn, endlich Bremen und Bremerhaven wiederzuvereinigen?
Die schönsten Vereinigungsfeiern fanden in Baden-Württemberg statt unter dem Titel „Stuttgart 21“. Ich habe gleich gedacht: auweia, haben die sich verzählt, es hätte natürlich Stuttgart 20 heißen müssen. Aber: die Stuttgarter zählen seit Mauerfall, die Feiern gehen bis 9. November weiter. Und wie wunderbar dort Demonstrationen nachgespielt wurden, als wären sie noch in der DDR.
Ich gebe zu: die Polizei hatte recht. O-Ton: „Wir haben sie mehrfach aufgefordert zu gehen, doch sie sind nicht gegangen, deswegen mussten wir Wasserwerfer und Pfefferspray einsetzen.“ Ist ein bisschen schade. Ich versuche meinen Kindern beizubringen, sie sollen nicht hauen, wenn der andere anderer Meinung ist.
Jetzt will Mappus auf die Demonstranten zugehen… da kriegen die bestimmt Angst… wie viel Bodyguards nimmt er dafür mit? Und mit welchen Waffen?
Mappus hat aber sofort bemerkt: „die Bilder machen einen schlechten Eindruck“. Leicht verrechnet, Herr Mappus. Da hat dieses ausgekochte Schlitzohr versucht, die Wählergunst zu erringen, in dem er der neue Law-And-Order-Mann der CDU wird. Und dann kam es nicht an. Und er hat in einem recht: „die Bilder machen einen schlechten Eindruck“. Es geht gar nicht um Argumente, sondern um Bilder. Wenn man Flugblätter verteilt: na und, Spinner gibt es immer. Wenn man sich an Bäume kettet: Bilder. Schlagstockeinsatz: Bilder. Es geht nicht um die Sache, es geht um den Unterhaltungsgrad. Folgerichtig werden jetzt auch die Verhandlungen im Fernsehen übertragen. Eine großartige Idee von Schlichter Geissler. Apropos Schlichter: hätte man nicht Guido nehmen können? Schlichter geht es doch nicht… Und in Bonn wird er momentan ja immer mehr ignoriert.
Eigentlich war ich ja bei der Einheit. In Zeiten, wo die Polizei in Stuttgart den gebildeten Mittelstand niederknüppelt und im Osten Deutschlands Neonazis – leider nicht vom Aussterben bedroht – gegen Gegendemonstranten schützt, wo wieder „Deutschland Deutschland“ durch die Gegend schallt, da frage ich mich: wie sieht eigentlich die nächste Teilung aus? Jetzt nicht die inoffiziell vorhandenen wie Steuerzahler und Liechtensteinfahrer, Privatversicherte und gesetzlich Verunsicherte, Hartz 4 Empfänger und Menschen, Leute, die Sarrazin mag oder die er nicht mag… Apropos Sarrazin. Der eigentliche Skandal um Sarrazin ist nicht, was er sagt, was er nicht sagt, was andere über ihn sagen oder nicht, oder wie andere reagieren müssen (Parteiausschluss, Bundesbankausschluss, Ausschluss aus dem Bund der denkenden Menschen). Der Skandal ist, dass er überhaupt im Vorstand der Bundesbank war. Warum kommen in den Vorstand der Bundesbank Leute, die weder fachliche noch menschliche Fähigkeiten besitzen, die sie dafür qualifizieren würden, deren einzige Fähigkeit ist, ein Politiker zu sein, den keiner mehr in der Politik haben möchte?
Und der nächste Skandal ist, dass er 1000 Euro mehr Pension bekommt, als hätte er die vollen 5 Jahre gearbeitet. Die meisten Leute müssen 45 Jahre arbeiten, um überhaupt 1000 Euro zu kriegen – nicht 1000 Euro zusätzlich. Anders gesagt: das was er zusätzlich kriegt, reicht für 2 Hartz 4-Empfänger aus. Seine gesamte Pension für seine Beamtenlaufbahn beträgt 10000 Euro, das reicht schon für 20 Hartz 4-Empfänger. Und unter den 20 Hartz 4-Empfängern ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch einer, der besser für den Bankenjob qualifiziert wäre als Thilo Sarrazin, einem der großen Hass- und Angstprediger unserer Tage.
Denn mal ehrlich: diese ganzen Angstszenarien um die Wirtschaft sichern einer kleinen mißregierenden und –wirtschaftenden Schicht die Existenz und die Macht. Angst – das funktioniert seit Jahrtausenden so.
Im Mittelalter: wenn Du nicht machst, was wir dir sagen, kommst Du nicht in den Himmel.
Im
Kalten Krieg: wir beschützen dich vor dem Russen, mach also, was wir
dir sagen. Der Russe war damals ja ziemlich sauer. Der stand damals
jeden Tag vor der Tür. Und keiner bat ihn rein. Da wäre ich auch sauer.
Jetzt: schaffe, schaffe, sonst ist unsere Wirtschaft tot.
Und
weil die Angst da ist, kann man Milliarden an Banken geben, während man
bei Arbeitslosen um 5 Euro feilscht. Weil die Angst da ist, dass unser
ganzes System kaputt geht, kann man das absolut hirnrissige System der
privaten Krankenversicherung – Leute mit viel Geld zahlen weniger
Beiträge als Leute mit weniger Geld in der gesetzlichen
Krankenversicherung – beibehalten. Ob wir das System brauchen steht
nicht in Frage.
Apropos 5 Euro: das hat die von der Leyen in mühsamer Kleinarbeit ausgerechnet. Monatelang. Mit vielen, vielen Beamten. Endlich mal richtig berechnet. Nicht wie vorher bei SPD und Grüne, die das ja nur geschätzt haben. Mal ganz ehrlich: wählt SPD und Grüne. Wer mit einer Schätzung eine Abweichung von 1,5% zur Wirklichkeit hinkriegt, der ist einfach gut.
Stuttgart wird für zu einer Prinzipienfrage hochsterilisiert – sorry, der Witz ist jetzt alt – -stilisiert:
Wie
meinte Herr Westerwelle? In einer „Nichts-geht-mehr-Republik“ könne der
Wohlstand für alle nicht gesichert werden. Wohlstand wird übrigens
demnächst um genau 5 Euro erhöht.
Wir brauchen ein solches Projekt, um voranzukommen. Deutschland hat immer Projekte gemacht, die andere für größenwahnsinnig hielten, wir aber immer schafften. Das brauchen wir für unseren Wohlstand. Das hat immer geklappt. Vielleicht bis auf Stalingrad, aber das ist eine andere Geschichte.
Wir dürfen uns nicht aufhalten lassen von ein paar Romantikern, die den Fortschritt verhindern wollen. Oder dürfen wir uns nicht aufhalten lassen, von Fortschritts-Romantikern, die eine sinnvolle Zukunft verhindern wollen?
Stuttgart 21 ist demokratisch legitimiert. Gut, wir haben von 5 statt 10 Milliarden gesprochen. Das Geld fehlt natürlich später für weitere Bankenrettungen. Es sind seit dem Beschluss viele neue Erkenntnisse aufgetaucht. Selbst frühere Mitarbeiter des Projektes halten es mittlerweile für Schwachsinn. Aber wenn etwas einmal in den politischen Gremien beschlossen wurde, dann darf man das nicht kippen. Wie den Atomkraftausstieg. Jetzt nicht falsch verstehen: ich sehe auch die nützlichen Seiten der Atomkraft. Damit meine ich jetzt nicht, dass sich Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit dick und fett verdienen. Nein, ich denke, wir sollten die ganzen Bankentürme und die ganzen Bundes- und Landtage neben ein Atomkraftwerk bauen. Dann hätte sogar ein GAU noch sein gutes.
Wir können da auch keine Volksabstimmung machen. Wer da alles mitstimmen darf… den Leuten darf man nicht so wichtige Entscheidungen auferlegen. Die scheitern doch schon daran, einen vernünftigen Ministerpräsidenten zu wählen. Ach so, der war ja gar nicht gewählt. Man wählt ja Parteien. Und der Mappus war noch nicht mal von der Partei vorgestellt, da hieß er ja noch Oettinger.
Stuttgart 21:
Man weiß nicht, wie viel es mehr kostet.
Man weiß nicht, ob es die effektivste Lösung ist.
Man weiß noch nicht mal, ob es überhaupt geht.
Aber
abbrechen würde den Standort Deutschland gefährden. Weil ein paar
Geschäftskunden gerüchteweise ein paar Minuten länger nach München
brauchen.
Immerhin: der Plan von Stuttgart scheint auf den ersten Blick zu funktionieren. Die Strecke führt unter keinen Stadtarchiven her.