Olympia

Eine der größten Peinlichkeiten für mich ist die politische „Olympia – natürlich –aber – weil die Chinesen“-Show. Mein Vorschlag: sämtliche Politiker, die überhaupt das Wort Boykott in den Mund nehmen – und sei es für den Satz „Ein Boykott kommt nicht in Frage“ sollten für 168 Stunden auf ein Laufband gestellt werden. Und wenn sie hinten runterrutschen, kriegen sie Stromstösse, damit sie ja wieder aufs Band zurückgehen. Klingt drastisch? Genau. Aber wie drastisch ist es, wenn sich Sportler, die 4 Jahre lang trainiert haben, um bei den olympischen Spielen dabei zu sein – geschweige denn zu gewinnen – darauf verzichten sollen, weil die Politik es in 50 Jahren nicht geschafft hat, vernünftig mit China zu verhandeln. Klar: es ist toll, wenn die Sportler es machen, das hat Symbolcharakter. Da sind im Gegensatz zur Politik viele Leute dabei, die man noch ernst nehmen kann – und nach dem Abtritt von Boris Becker hat die Zahl der nicht ernst zu nehmenden stark nachgelassen.

Ich finde es aber schön, dass man nach so langer Zeit entdeckt hat, dass Tibet nicht frei ist. Mal gucken, wie lange es dauert, um das wieder zu vergessen.

Es wirkt ein bisschen so, als hätten die olympischen Funktionäre etwas zu einfach gedacht. „Wenn der olympische Geist einmal durchs Land weht, werden Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung davon geweht.“ Die Hoffnung war, dass China bis zu Start der Olympischen Spiele ungefähr auf dem gleichen Stand sei bzgl. Meinungsfreiheit und Menschenrechtseinhaltung wie eines der großen demokratischen Länder. Sagen wir mal die USA.

Hmm, wenn man mal Guantanamo und den Hang zur Zensur betrachtet, dann hat sich seit der Vergabe der Spiele tatsächlich die USA ein bisschen an China angenähert.

Das ganze ist aber auch zu einfach gedacht: um so was ging es ja nicht, bei Olympia zählt nur die Kohle. Statt „höher, weiter, schneller“ heißt das Motto „immer mehr, immer reicher, immer kommerzieller“. Demnächst werden auch die Medaillen auf der Rückseite das Emblem eines Sponsors tragen.

Die Sponsoren haben jetzt aber ein kleines Problem: McDonalds, Coca-Cola , Visa und Adidas könnten eher Absatzprobleme bekommen – man muss ja als Betroffener Unbetroffener Bürger ein Zeichen setzen – als jeder chinesische Billighersteller. Das ist aber richtig: die 1-Euro-Läden, die Supermärkte und Discountläden, in denen die chinesische Ware bei uns verkauft wird, wernen nicht für Olympia, und Olympia unterdrückt ja bekanntlicherweise Tibet. Oder so ähnlich. Vielleicht kann man noch mit positiver Werbung dagegen halten: für jeden Kasten Coca-Cola, den sie kaufen, wird ein chinesischer Dissident freigelassen. Oder McDonalds könnte bei Gewinnspielen statt Autos oder Traumhäuser einfach mal eine Reise nach Tibet ausloben. Ausgeschlossen sind wie immer Mitarbeiter, Mitarbeiter angeschlossener Unternehmen und zusätzlich Exil-Chinesen. Sowie alle Leute mit einer freien Meinung.

Tibet: das ist jetzt das ultimative Land, das die Freiheit braucht. Bitte nicht falsch verstehen: ich bin ja glücklich über jeden, der die Einhaltung der Menschenrechte in Tibet einfordert. Aber bei den meisten, die jetzt Tibet-Fahnen schwenken und ihre Abneigung gegenüber China erklären vermute ich, dass über die Häupter das wundersame Gemisch aus Dummheit und Ignoranz schwebt, dass Helmut Kohl seine glorreichsten Zeiten bescherte. Ich befürchte, wenn ein Reporter mal nachfragen würde, wo Tibet liegt, würden 50% der Befragten eine Nähe zu Südafrika oder zum Nordpol vermuten.

Ja, der Dalai Lama ist cool und nett. Aber: Demokrat ist er auch nicht. Und seine Vorgänger waren auch nicht alle nett. Wer folgt ihm nach, wenn er mal wiedergeboren wird? Ja, es gibt eine Menge Tibeter, die lieber unabhängig von China wären. Es wird aber genauso welche geben, die das nicht wollen. Wahrscheinlich ein paar weniger. Ich bin ja auch dafür, die IRA und die baskischen Separatisten zu unterstützen. Sie nicht? Gut ich zwar auch nicht, aber vielleicht wird Ihnen mal klar: es ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Das Kosovo ist jetzt unabhängig, aber die im Kosovo lebenden Serben leiden zum größten Teil drunter, und das sind nicht alles Arschlöcher, nur weil sie Serben sind.

Die einzige Lösung wäre vielleicht mal die Grenzen abzuschaffen – man schafft aber noch nicht mal die im Kopf.

Vielleicht könnte man auch unsere Reiseministerin Merkel und ihren Tross nehmen und als lebendige Mauer vor die Tibeter stellen. Da braucht sie – wie sonst auch – nix zu tun, sieht gut aus und erfüllt auch noch einen Zweck.

Es gilt momentan als ungemein schicklich, Proteste während des Fackellaufs abzuhalten. Mein Tipp: verzichtet lieber mal im Supermarkt, bei ToysRUs oder wo auch immer chinesisches Spielzeug zu kaufen, das trifft Chinas Führung viel härter. Ach ne, das geht ja nicht: das ist doch so schön billig.

Und noch eins Leute: die Menschen, die jetzt die Fackel durch die Gegend tragen, haben häufig noch mehr als 4 Jahre darauf gewartet, das einmal im Leben machen zu dürfen. Die laufen nicht für die Chinesen, die laufen, weil sie noch an etwas glauben. Jeder, der meint mit Gewalt gegen die Fackel oder ihre Träger vorgehen zu müssen, ist auch nicht besser als die Chinesen. Mal abgesehen davon, dass die Bilder von der Gewalt von den Chinesen hemmungslos ausgeschlachtet werden und den Hass auf das Ausland und auf Tibet noch verstärken: nichts ist für den Chinesen schlimmer als das Gesicht zu verlieren, und dass tut Olympia-China halt dabei.

Wobei mit „die Chinesen“ natürlich immer nur deren Spitze gemeint ist. Und insofern ist China eigentlich genauso weit wie Deutschland: wenn Staaten Lebewesen wären, wären sie biologisch gesehen totaler Humbug. Es gibt in der Natur meines Wissens nach kein Tier, das die erste Regel für jeden Staat erfüllt: der Arsch ist oben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.