Geschichte aus Klischee

Oh diese schreckliche Hitze! Nur einen Moment ausruhen, dann weiter. War da nicht eben ein Geräusch? Aber es gab immer Geräusche. Und es gab immer Hitze. Denn das ist im Prinzip wichtig für die Hölle: es ist heiß, und es ist laut. Man kann sich nicht ausruhen.

Hölleninspektor Bungsdulugurubung seufzte. Hätte er nicht aufgepasst, wäre er pünktlich gekommen.[1] Es war wieder der Zeitpunkt der großen Inspektion. Neuankömmlinge mit besonderen Talenten wurden untersucht, ob sie für den mittleren, den getieften oder den ganz tiefen Dienst in Frage kamen. Sie mussten zwar die Grundqualausbildung über sich ergehen lassen[2] [3], wurden nach dieser allerdings im Gegensatz zu den anderen nicht gequält sondern durften quälen.

Bungsdulugurubung fragte sich, ob das gerecht sei. Es wäre nämlich sehr schlecht für die Hölle, wenn es gerecht wäre. Die Bewohner der Hölle haben etwas gegen Gerechtigkeit. Er war aber auf noch keinen roten Zweig bei seinen Überlegungen gekommen.

Mit den Überlegungen hatte er es geschafft: er war unpünktlich. Sodann machte er sich voll Ungeduld weiter auf den Weg: sein Job erfüllte ihn mit Hass, und das war alles, wovon ein einfacher Höllenteufel träumen konnte.[4]

Qisiwangtangtulugumbarum beschimpfte ihn gebührlich und leberlich.[5] Auch er war voller Ungeduld.[6]

„Dann wollen wir uns mal einen schrecklichen eiswarmen Abend machen. Was ist mit denen beiden hier?“

Er deutete auf ein Menschenpaar. Der Mann (Mitte Vierzig, beginnende Glatze) war mit dem Kopf vor einem Buch festgemacht, die Augen wurden mit Streichhölzern offen gehalten. Das außergewöhnliche dicke Buch blätterte sich selbst nach kurzer Zeit weiter.

Die Frau war vor einem Fernseher. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit ausgerissen.[7]

Beide waren nackt.

„Die sind sehr wild entschlafen. Aufeinander eingegangen. Koitus sehr interruptus, würde ich sagen.“

„Das ist ja … Steckte da Liebe hinter?“

„Quatsch. Er hat sie bezahlt. Außerdem musste sie ihm Tiernamen geben und er hat sich als Anwalt verkleidet. Außerdem war sie Jungfrau, bevor er sie mit Gewalt nahm. Danach wurde sie ihm hörig.“

„Teuflisch. Was habt ihr schon mit ihm gemacht?“

„Das übliche in diesem Fall. Erst mal die kleine Guillotine. Und weil er sich als Anwalt ausgab, muss er sämtliche Gesetze der Bundesrepublik Deutschland auswendig lernen. Das Buch blättert aber immer weiter, bevor er die letzten Zeilen der Seite lesen kann.“

„Und die Frau?“

„Die ist aus Versehen in dieser Abteilung gelandet. Aber du weißt ja, wie das mit der Bürokratie ist. In weniger als 1000 Grolls kriegst Du das nicht geregelt. Ich lasse sie Lindenstrasse in einer Endlosschleife gucken, dass ist sehr beruhigend. Für mich.“

Der nächste Mann wurde untersucht.

„Der Mann sieht interessant aus. Was hat er gemacht?“

„Großer Liebeskummer. Ist dann zu der Angebeteten gegangen und hat sein inneres nach außen gekehrt. War ne ganz schöne Schweinerei, kann ich dir sagen. Guck dir aber lieber die da an.“

Er deutete (mit 1 Klaue) auf zwei Männer. Einer trug einen karrierten Rock, der andere – ein Buchhaltertyp –  versuchte immer wieder, ihn anzuspringen. Darüber war der andere ungehalten. Er konnte sich anscheinend aber nicht bewegen.

Qisiwangtangtulugumbarum wiggelte[8] und erklärte, dass es sich wirklich um einen schwerhörigen Buchhalter handelte. „Er glaubt, dass er hieraus kommt, wenn er das schafft, was er ihm Leben nicht geschafft hat. Jetzt versucht er über seinen Schotten zu springen.“

Bungsdulugurubung war mittlerweile enttäuscht. Es schien keinen zu geben, der sich wirklich für den Höllendienst eignete.

Mittlerweile standen[9] sie an einem Laufband. Dort lief jemand. Er musste schon länger laufen, sein Bart reichte beinahe so weit herunter, dass er mit den Füßen drüber hätte stolpern können.

„Hier ist aber eins unsere Schmuckstücke. Wollte gerade bei den Olympischen Spielen starten. Hat sämtliche Dopingproben ohne Probleme hinter sich gebracht.“

„Ja, diese Profi-Doper. Tolle Leute.“

„Hat sich aber gelohnt. Ursprünglich war der so langsam, dem konnte man im Laufen die Schuhe besohlen. Mit Doping kam er in die Weltspitze. War sauschnell. Dummerweise wirkte durch das Verschleierungsmittel die Schweinepest auch bei ihm. Ich hasse Mediziner weniger als andere Menschen.“[10]

Der Sportler guckte sich verwirrt und panisch um. Dann sprang er runter und nahm die Füße in die Hand. Er flog folgerichtig auf die Schnauze.

„Man kann nichts gegen bösartige Metaphern machen“ wiggelte Bungsdulugurubung.

Der Sportler rappelte sich wieder auf und gab Färsen Geld. Die Höllentiere hatten davon allerdings nicht. Während Qisiwangtangtulugumbarum und Bungsdulugurubung sich anguckten (mit ungefähr der Hälfte ihrer insgesamt 14 Augen) nahm der Sprinter jetzt die Waden an die Hand und verschwand.

Beide wussten: Das würde Ärger geben, wenn er in die falschen Hände geriet. Es gab in der Hölle schlimmeres als die Teufel – immerhin konnte man seine Seele zum zweiten Mal verlieren, und dann für immer.[11] Allerdings war fraglich, wie sie ihn wieder fangen konnten – er war immerhin recht schnell. Sie standen quasi wie der Ochs vor dem Zwerge.[12] Doch Bungsdulugurubung war nicht umsonst einer der erfahrensten Hölleninspektoren. Er hatte in solchen vielen immer viel Schwein. Er entnahm dieser Floskel selbiges und schnitt es auf. In den Eingeweiden las er den baldigen Aufenthaltsort des Sportlers.[13] [14] Dort konnte er später von der Höllen-Nicht-Polizei aufgefasst und nach gebührender Folter durch den Unterteufel 3. Grades Guan Tanamo in ein höllisches Dopinglabor gesteckt werden.

Dort musste er jedoch nach kurzer Zeit freigelassen werden, nachdem man entdeckte, dass er zum Hinduismus übergetreten war und dementsprechend Anspruch auf eine Wiedergeburt hatte. Er wurde übrigens als ICE-Sprinter wiedergeboren.

So, und wer jetzt noch ein sinnvolles Ende der Geschichte erwartet, den muss ich leider enttäuschen: bei höllischen Geschichten darf es kein Ende geben, sonst wären die Leser ja zufrieden.

Disclaimer: In dieser Geschichte kamen keine Floskeln zu Schaden.

Fußnoten:
[1] Das hätte zu einem fünfgrölligen Benimmkurs „Hölle für Anfänger“ für ihn geführt. Ein Groll ist die Zeiteinheit, in der ein siebenhintiger Höllenbewohner namens Suftihorn 1000 Fürze von sich gibt. 5 Grolls scheint nicht so viel zu sein – ist es aber, wenn man diese mit einem Suftihorn vorbringt.

[2] wie jede Seele, die in die Hölle kam. Das ist in der Hölle normal. Sonst wäre das ganze Marketing mit den gequälten Seelen im Eimer.

[3] Ganz stimmt das übrigens nicht. Politiker werden immer direkt in den getieften Dienst übernommen. Ihre Tauglichkeit gilt als bewiesen.

[4] Eigentlich nicht. Teufel können nicht träumen. Genauso wenig können sie schlafen.

[5] Teufel haben kein Herz. Die meisten haben aber drei bis fünf Lebern. Und grundsätzlich eine geteerte Raucherlunge. In der Hölle raucht alles.

[6] Geduld ist eine Tugend und deswegen in der Hölle gar nicht beliebt.

[7] Es war wirklich Entsetzen. Sie hatte zwar einen kleinen Hocker, aber sie war aufgesprungen. Da kann man von Entsetzen sprechen.

[8] Wiggeln ist die höllische Alternative zu grinsen. Grinsen selbst ist verpönt (und die meisten Höllenwesen sind dazu gar nicht fähig). Wer sich interessiert, wie man nicht lacht oder grinst, sollte nach Westfalen fahren. Allerdings sollte man nicht mit einem Westfalen in dessen Keller gehen. Dort lachen die dann doch, und der ganze Eindruck ist verschwunden.

[9] Dem Autor fiel hier nix anderes ein. Ein Wesen, dass statt 2 Beinen 4 Tentakel und einen gallertenartigen Körper besitzt, mit dem es auf dem Boden andocken kann, steht bestimmt nicht. Zumal so ein Teufel durchaus auch Schweben kann. Wären die beiden Menschen gewesen, hätten Sie allerdings gestanden. Dann wäre ihnen aber ziemlich heiß gewesen. Höllenteufel können Hitze besser ab als Menschen.

[10] In der Hölle gelten höfliche Ausdrücke wie „Ich mag“ oder „Ich liebe“ als nicht schicklich. Wer sich dafür interessiert, wie man diese Ausdrücke vermeiden kann, muss nur einmal nach Westfalen fahren.

[11] Im Prinzip ist das nicht so schlimm – in der Hölle wird man eh nur gequält. Für Teufel ist das allerdings etwas Schlimmes: die ganzen Statistiken sind im Eimer, und die Hölle hat ein ganz ausgeklügeltes Controlling-System.

[12] Hier muss man sich einen harmlosen Ochsen und einen sehr blutrünstigen Zwergen vorstellen, sonst macht es keinen Spaß.

[13] Genau, hier hat der Autor mal eine verballhornte Floskel gespart. Welche könnte es sein? (Die Auflösung hier in Spiegelschrift:  tiehrhaW eid tgeil niewhcS mI)

[14] Nebenbei auch eine Art Inneres nach außen kehren.

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