Gehe Sohn, gehe zum Wasser
und siehe die Frauen weinen.
Vater, warum weinen all die Frauen?
Sie weinen um ihre Männer.
Es war einmal vor langer Zeit.
Es war gestern.
Es wird sein.
Vielleicht war es die Karibische See. Nur das Wasser erinnert sich.
Er stand auf den Klippen und dachte nach. Sein Gang war gebeugt, sein Haar war spärlich und grau geworden. Endlose Zeit hatte er in dem Haus an den Klippen verbracht. Und in der Bucht bei den Fischen.
Sie nannten ihn nur noch den „alten Fischer“. Früher war er „der Fremde“ gewesen. Später der „Fischer in der Bucht“. Heute der „alte Fischer“. Doch niemals hatte ihm einer dieser Namen etwas bedeutet.
Zu Anfang hatten sie versucht, ihn in ihr Leben einzubauen. Sie luden ihn zu Feiern. Sie versuchten ihn zu besuchen. Einmal wollte eine Frau ihn mit ihrer Tochter verheiraten. Er war der beste Fischer weit und breit. „Wie der Rattenfänger mit der Flöte – nur für Fische.“ Er hatte über diesen Spruch nicht gelacht. Und er war nicht gefangen worden von der Liebe oder von der Ehe. Nicht von dieser Liebe.
Im hellen Schein der Sonne, auf dem tiefsten Blau des Ozeans trieb ein Boot. „Ich segle, ich segle“ juchzte der Junge. Doch wohin ging sein Weg?
Der alte Fischer stand am Strand. Er dachte an die alten Zeiten. Er dachte an seine Liebe, seine wahre Liebe. Er nannte sie die Dame aus Silber. Als er jung war. Jetzt war er alt. Er hatte sein Leben gelebt. Vielleicht waren es auch mehrere Leben. Es wäre kein aufregendes Leben für einen Städter gewesen. Vielleicht noch nicht mal ein aufregendes für einen Dörfler. Doch wenn man die Augen aufmachte, war jeder Tag des Lebens aufregend.
Im Dorf war es Zeit für das abendliche Essen. Auf den Tellern wenig Grütze, wenig Brot – und viel Fisch. Er war sehr freigiebig.
Aus dem Wasser tauchte eine Hand auf. Der Junge staunte. Dann kam ein Frauenkopf zum Vorschein. Eine wunderschöne Frau. Sie sagte „Komm, segle dein Schiff um mich herum.“
Langsam glitt das Boot vom Sand. Der alte Fischer sprang hinein. Zunächst paddelte er ein wenig. Dann übernahm der Wind. Er saß nur da im Licht seiner Laterne und schaute über das endlose Wasser. Über ihm waren die Wolken, unter ihm die Wellen, um ihn herum die Böen. Das reichte.
Im Dorf sah man den Lichtschein auf dem Wasser. „Er ist wieder draussen.“ Es klang bewundernd und verwundert zugleich. Dann gingen sie ins Bett. Beide träumten von der weiten See. Von Booten. Von Möwen. Von Fischen. Und von ihm.
Zwei Boote treffen sich. Sie nicken sich zu, erkennend. Der alte bedächtig, der junge mit einem strahlenden Lächeln. Dann sind die Boote schon aneinander vorbei. Eines zieht auf das Festland zu. Das andere hat das weite Meer als Ziel.
Dann kam er an seine Stelle. An ihre Stelle.
„Bist Du da?“
Haare aus blassen Silber. Ein bleiches, freundliches Gesicht.
„Ich werde noch da sein, wenn der letzte Adlerschrei über den letzten bröckelnden Bergen verstummt.“
„Wirst Du da sein?“
„Ich werde da sein, wenn die Menschen nur noch Geschöpfe in Büchern sind, die Kaninchen geschrieben haben.“
„Bleibst Du bei mir?
„Ich werde da sein wenn die letzte Welle verebbt.“
Bald bricht ein neuer Tag an. Nur ein neuer Tag.
Ein Boot ist gelandet. Ein anderes, einsames, leeres Boot treibt weitere auf dem offenen Meer, von den Wellen getragen.
Die Flut löscht das Licht.
(Anmerkung: „Da wo es metaphysisch war, hat es mir am besten gefallen.“)