Rede vor der UNO

Hintergrund für diesen Text war eine Aufgabe des VHS-Kurses „Kreative Schreibwerkstatt“ mit dem Vorschlag „Monolog eines Hundes“. Dazu passte dann am nächsten Tag die Radiomeldung: „Eine Frau ist von einem Schäferhund angefallen und ins Krankenhaus gebracht worden.“ Netter Hund.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Artgenossen,

ich freue mich, dass der UN-Generalsekretär mir erlaubt hat, meine Stimme für 10 Minuten an Sie zu richten.

Es geht um uns. Es geht um Hunde, es geht um Menschen. Lassen sie mich ein wenig ausholen: schon seit Menschengedenken leben die Menschen und wir in einer für beide Seiten sinnvollen Symbiose. So haben wir häufig Aufgaben als Wachpersonal übernommen, bei denen wir durch unsere biologische Ausstattung besser geeignet waren als Menschen. Die Menschen haben dafür in vielen Fällen die Aufgabe der Visionäre übernommen, die das Leben für uns und sich selbst grundlegend verbessert haben. Bis wir im letzten Jahrhundert sogar bei Hundekeksen angekommen sind.

Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis verschlechtert. In meinem Land, in Deutschland, haben die menschlichen Politiker aufgrund der reisserischen Schlagzeilen in Boulevard-Zeitschriften sehr unschöne Gesetze verabschiedet. Gewiss gab es Angriffe von Hunden auf Menschen. Ich möchte das nicht herunterspielen. Aber soll das ausreichen, um die Angehörigen bestimmter Hunderassen pauschal zu verurteilen? Soll das ausreichen, Hunde, die nichts getan haben, zu bestrafen?

Ein Blick in die heimatliche Zeitung meines menschlichen Mitwohners zeigt jedoch die Realität. Ein Bericht über einen Belgier, der mehrere Kinder umgebracht hat. Ein Bericht über eine Anschlagsserie in Amerika. In Montpellier überfuhr ein Autofahrer fast einen Fussgänger, weil er ihn für Osama Bin Laden hielt. In Berlin wurde jemand wegen Mordes an einem Polizisten und Messerstecherei verurteilt. Und das auf nur einer Seite, „die andere Seite“ genannt.

Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, Menschen Maulkörbe zu verpassen und sie nur an der Leine spazierenzuführen? Wenn man die Anzahl der grausamen Taten, die Menschen an uns oder ihresgleichen ebgehen, einmal zusammenfasst, dann frage ich mich, warum wir Hunde als unzivilisierte Geschöpfe gelten. Oder bedeutet Zivilisation, dass man nur noch Untaten seiner eigenen Artgenossen zulässt?

Dies soll keine Anklage gegen die Menschheit sein. Viele Menschen sind sehr liebe und zutrauliche Geschöpfe. Nur wenige sind durch ihre Erziehung eine Gefahr. Da sind wir uns sicherlich einig. Jedoch: warum diese Unterschiede? Ein Hund, der einen Menschen anfällt, wird erschossen. Ein Mensch, der einen Menschen angeht, kommt nur einige Zeit in ein Gefängnis. Wenn er einen Hund verletzt, reicht meistens eine Geldstrafe. Wo bleibt da die Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, liebe Artgenossen?

Ich möchte anschliessend darum bitten, einfach eine Minute lang zu überlegen. Diese ehrwürdige Organisation nennt man bei uns „Die vereinigten Nationen“. Doch was ist eine Nation? Besteht sie nur aus Menschen? Oder besteht sie auch aus Tieren? Ist nur den Menschen das Recht vorbehalten, zu bestimmen? Nur den Menschen vorbehalten, vor dem Gesetz gleich zu sein?

Ich danke Ihnen für ihre Geduld.

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