Spielleitung

„Hallöchen, hier ist die Ablösung!“
Ein neuer Tag im Leben des Oberspielleiters KK begann. Zunächst fand die Übergabe durch die Nachtschicht an die Morgenschicht statt. Den Bericht von DD – er war durch eine ABM-Maßnahme in das Team gekommen und hoffte bisher vergeblich auf eine Festanstellung – konnte man kurz mit „Nix besonderes“ zusammenfassen. Mit einem „Mann, bin ich müde“ goß sich KK erstmal einen Kaffee ein, besprach sich kurz mit den 4 Spielleitern der Tagschicht und begab sich dann frisch ans Werk.

Auf dem Burghof war noch nicht viel los. Aber in einem der wunderbaren kleinen Räume der Burg entdeckte KK Bewegung: ein Barbar und ein Gnomenmagier waren gerade in einen herrlichen Streit verwickelt. Das versprach interessant zu werden.

Der Barbar begann gerade, den Gnomen zu verfluchen:
„Du elender kleiner…“
„STOP.“
Beide guckten sich schmerzverzehrt an, hatte KK wieder den Lautsprecher zu laut eingestellt.
„Klein ist politisch nicht korrekt.“
„Was?“
Das kam von beiden Kontrahenten gleichzeitig.
„Die Benutzung des Wortes „klein“ ist nicht mit der Charta des LARP-Verbandes vereinbar. Ich muss dich bitten, ein anderes Wort zu nehmen.“

Der Barbar brauchte erstmal ein paar Sekunden, die ihm Spielleiter und Gegner gönnten. Dann hob er wieder die Stimme an:
„Du schl…“
„STOP.“
„Was ist denn jetzt schon wieder?“
„Ich habe noch nicht Time-In gesagt.“
Kurze Ruhepause.

„Time In.“
„Du schleimige Kröte, du…“
„STOP.“
Beide zuckten wieder zusammen.
„Tierworte sind bei Beleidigungen nach Absprache mit dem Tierschutzbund nicht erlaubt.“
„Du mieser Zw…“
„HEY! Was erlaubst Du dir gegenüber einem Schiedsrichter. Das kann dir die rote Karte einbringen!“
„Ich meinte doch den Gnomen.“
KK überlegte. „Na gut, ich glaube dir. Aber bitte warte auf das Time-In.“

„Time-In.“
„Du mieser Zwerg, du! Ich …“
„STOP.“
Der Barbar resignierte: „Was ist denn nun schon wieder?“
„Das ist ein Gnom, kein Zwerg. Es könnten andere verwirrt werden, wenn Du jemanden der falschen Rasse zuordnest. Time-In.“
„Aber hier ist doch kein anderer!“
„Es könnte aber jemand reinkommen. Und ich habe Time-In gesagt.

Der Barbar überlegte:
„Du … du … DU!“
Das letzte „Du“ war sehr energisch und konnte mal gerade als barbarische Beleidung durchgehen.

Ein Blick auf einen Nebenmonitor zeigte, dass mittlerweile etwas auf dem Burghof geschehen war. Ein Toter lag dort. „Hoffentlich regelgerecht getötet“, dachte sich KK. Nachdem er das Mikrofon auf dem Burghof auf den Köpfhörer gelegt hatte, schrieb er eine kleine Notiz für den Hilfsspielleiter ST, er solle sich in den Videoaufzeichnungen von Kamera 5 den Tod angucken und auf Regeleinhaltung untersuchen.

„Die elenden Hunde haben es wirklich getan. Doch wir werden uns rächen, meine treuen Anhänger. Ich, Graf Ei…“
„STOP!“
„…na…“
Der Graf verstummte kurz, etwas überrascht aufgrund der plötzlichen Störung.
„Ralf, der Tote ist der 10. Mann in deiner Begleitung. Du weißt, dass man für den Grafentitel mindestens 10 Leute braucht. Ich habe dich gewarnt, dass es mit 10 Leuten ein Risiko ist. Du bist seit dem Tod nur noch Baron.“
„Aber…“
„Tut mir leid, das steht so in den Regeln.“
„Aber…“
„Noch ein Wort, und ich muß dich für 10 Minuten auf die Strafbank schicken.“

Der Graf – nein, Baron verstummte, und KK widmete sich wieder den zweien, die er für besonders kontrollwürdig hielt.

Die hatten sich mittlerweile trotz Anlaufschwierigkeiten in einen Kampf gestürzt. Der Gnom hatte gerade einen Lähmungszauber gesprochen, der Barbar stand stocksteif in der Gegend. KK guckte kurz die Zeitlupe des Zaubers an… und musste zu seinem Bedauern wieder eingreifen.
„STOP.“
Der Gnom, gerade mit den Händen in den Taschen des Barbars, guckte zum Lautsprecher hoch.
Der Barbar blieb einfach weiter stehen.
„Du hast den Spruch zwar ganz ordentlich rübergebracht, aber leider warst Du zu schnell. Für den Spruch sind 6 Sekunden Mindestsprechzeit vorgeschrieben, das waren bei dir nur 5,3 Sekunden. Tut mir leid, wir müssen die Aktion nochmal rückgängig machen.“
Der Barbar erwachte aus der Starre: „Hey, das macht mir nix aus. Ich fands geil. Wir können einfach weiterspielen.“
„Nein, Regeln sind Regeln. Zurück auf eure Plätze bitte.“

Dungeon-Spielleiter HS kam rübergeschlurft: „Chef, im Raum 2 wird es interessant, wollen Sie?“
„Danke, sehr gerne. Übernimm du bitte mal die beiden hier.“

Mit einem Knopfdruck ging es in Dungeon-Raum 2. Zwei Elfen hatten gerade die Geheimtür entdeckt.
Diese öffnete sich und ein lautes „Tata“ erklang. Ein Oger!
„Dieser Oger wird ihnen präsentiert von: Mu. Mu ist der Lieferant für Polsterwaffen. Sehen sie sich diese fein gearbeitete Klinge des Zweihänders an.“ Im Stile der Dauerwerbesendungen posierte der nur wenig bekleidete Oger, und die beiden Elfen liefen schreiend davon. Hinter Ihnen wurde das „Wir benutzen nur ungiftige Klebemittel…“ langsam leiser. Die Tür wurde wieder geschlossen. Der Oger-NSC schlich traurig zurück. Der fünfte Kampf, bei dem die Gegner schon während der Werbeeinspielung davonliefen.

KK übernahm etwas betrübt wieder die Aufsicht über die beiden Kombatanten. Nicht ohne anzumerken:
„Ich sage dir, H, dagegen müssen wir was unternehmen. Abhauen während der Werbepause müsste unter Strafe gestellt werden.“

KK schaltete nun alle Lautsprecher an:
„Das Spiel muss wie angekündigt leider unterbrochen werden. Betriebsversammlung.“

Er nahm den Kopfhörer ab, deswegen hörte er nicht mehr die Proteste.

Die Betriebsversammlung war nötig geworden wegen der Spieleraktionsgruppe „Freiheit für LARPer“.
Diese elenden Ewiggestrigen hatten eine Abschaffung aller Regeln und stattdessen freies Rollenspiel gefordert. Einige von Ihnen hatten früher der jetzt verbotenen Spielergewerkschaft DKWDDK angehört.
Doch mit der SL-Gewerkschaft konnte man das nicht machen! 1000e von Arbeitsplätzen waren in Gefahr. Der Kanzler hatte auch schon seine Unterstützung angekündigt.
Ausserdem sollte auf der Versammlung über die Erhöhung der Wochenendzulage für Spielleiter geredet werden.

Nach der vierstündigen Betriebsversammlung einschließlich Pause mit warmer Mahlzeit kehrten die Spielleiter gut gelaunt an ihren Arbeitsplatz zurück. Es war unter anderem beschlossen worden, gegen die Mitglieder von „Freiheit für LARPer“ hohe EP-Strafen zu verhängen.

„Hallo liebe Mitspieler, die Betriebsversammlung ist beendet. Wir hoffen, dass ihr nicht ohne uns weitergespielt habt. Wir haben nämlich alles aufgezeichnet und werden Stichproben machen. Da blühen schon ein paar EP-Strafen, wie ich letztes Mal feststellen musste. Na ja, macht erstmal weiter. Time-In.“

Der Gnom kam ins Zimmer gestürmt und gab dem Barbaren hastig seine Gegenstände zurück.
„Sieh an, ihr habt da wohl weitergespielt. Na ja, ich bin mal nicht so. Macht mal weiter.“

Beide versuchten, ihre Positionen wieder einzunehmen.
Dieses Mal ergriff der Barbar die Initiative. Mit einem gewaltigen Schlag und dem Ausspruch „3, Stärke, magisch“ hieb er zu. Der Gnom sackte zusammen.
„STOP.“
Der Gnom konnte trotz des Stops nicht stoppen und platschte auf den Boden.
„Was ist denn nun schon wieder?“
Der Spieler des Barbaren überlegte sich wohl gerade, wie er barbarengerecht den Lautsprecher zertrümmern könnte.
„Du hast die Fähigkeit Stärke nicht.“
„WAS? Die hatte ich doch von Anfang an.“
„Tut mir leid, in deinem Charakterbogen steht nichts.“
„Aber…“
„Da gibt es kein Aber.“
„Ein Fehler…“
„Fehler kommen da nicht vor. Bitte stellt euch wieder zurück auf eure Positionen.“

Erst später stellte sich heraus, dass aus Versehen die Daten für „Conal, der Barbier“ statt für „Conan, der Barbar“ von der SL aus der zentralen Charakterdatenbank geholt wurden.

Auch der nächste Anlauf – ein wunderbar ausgespielter Feuerball des Gnomen – musste gecancelt werden.
„Aber ich habe den Spruch doch letztes Mal gelernt!“
„Nein, hast Du nicht ganz. Die Bestätigung ist zwar eingegangen, aber hier fehlt die Unterschrift der zweiten SL. Tut mir leid, du kannst das erst, wenn Du die Bestätigung nachreichst.“

HS kam wieder angeschlurft: „Chef, wir haben wieder ein Problem mit der Artefaktedatenbank. Die ist vorhin abgestürzt. Seitdem ist alles durcheinander. Jetzt sind die Artefakte falschen Spielern zugeordnet. Die Techniker werden sich aber erst am Montag damit beschäftigen können…“

KK überlegte. „Zu dumm, wir können denen ja nicht sagen, daß sie ihre magischen Gegenstände weitergeben sollen. Die sind ja teilweise nicht auf dem gleichen CON, das geht ja nicht.“
Er betätigte wieder den Schalter für den Rundruf:
„Hallo liebe Spieler, wir müssen euch leider mitteilen, dass eure magischen Gegenstände aus technischen Gründen nicht funktionieren. Ihr könnt euch ja vorstellen, dass es magische Interferenzen gab oder so was.“

Er schaltete wieder ab.

Währenddessen hatte der Krieger den Gnomen erschlagen. Beide scherzten etwas im Outtime darüber, dass ein Martyrium vorbei sei.
„STOP.“ Beide guckten ungläubig hoch.
„Du kannst doch gar nicht tot sein. Ihr habt euch beide für die sogenannte „Weichei“-Methode entschieden. Demnach kann dein Charakter nur bewußtlos sein.“
„Aber ich dachte, ich könnte selbst entscheiden, wann ich sterbe.“
„Nein, das wurde letzten Monat abgeschafft. Dein Gegner muss ja auch mit deinem Tod leben, und da er auch ein Weichei-LARPer ist… außerdem war der Todesschlag während meiner Durchsage. Also aufstehen und … In-Time.“

Der Gnom reagierte wieder schneller. Ein paar Worte, ein bisschen Handarbeit – der Barbar liess seine Waffe fallen und rannte schreiend davon. Natürlich nur bis zum nächsten „STOP“. Er kam noch nicht mal zur Tür.
„Was ist denn jetzt? Wir haben doch alles gemacht. Er kann den Spruch, das weiß ich noch vom letzten Mal, als wir noch auf einer Seite standen. Ich habe ihn ausgespielt, so gut ich konnte. Was verdammt noch mal…“

„Tut mir leid, aber Furcht ausspielen passt nicht zu einem Barbaren. Das ist nicht charakterkonform. Zurück auf eure Plätze. Uuund… In-Time.“

KK lehnte sich zurück. 16.30 Uhr, Feierabend. Wieder einmal hatte er alles gegeben, um viele LARPer glücklich zu machen.

Epilog: Klinisch weißer Marmorfußboden. Dick gepolsterte Türen. Ein Raum mit dem Schild „Stationsleitung“
Zwei Männer in Weiß blicken durch einen Kontrollmonitor. „Neuzugang. Wahrscheinlich ein hoffnungloser Fall. Sagt immer nur: Ich will doch nur spielen! Schon der dritte diese Woche. So langsam sollten wir doch mal erforschen, ob Live-Rollenspiel schädlich ist. “

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