Es gibt zwei große Tempolimitdebatten: Tempolimit auf Autobahnen und Erweiterung der Tempo 30-Beschränkung in Städten (im Vergleich zu den bisherigen Tempo 50). Und bei beiden gibt es Punkte, die die Diskussion vergiften. Ich fang mal mit ersterem an.
Es wird häufig auf „Freiheitseinschränkung“ verwiesen. Ist euch auch schon mal aufgefallen, dass ein Tempolimit zwar die persönliche Freiheit einschränken würde, aber wir diese Einschränkung schon aus gutem Grund in den Städten haben?
Ausschließlich auf „FREIHEIT!“ zu verweisen ist Käse. Weil Freiheit schwieriger ist. Tatsächlich wird die Freiheit bei einem Tempolimit eingeschränkt. Nämlich die Freiheit ohne Zwang zwischen verschiedenen Geschwindigkeiten auszuwählen. Tatsächlich nimmt aber ein Autofahrer, der Tempo 180 fährt, gegenüber einem, der 130 fährt, anderen auch in Situationen die Freiheit, sich auf die linke Spur zu begeben. Das heißt: das mit der Freiheit ist halt ein bisschen komplizierter. Zusätzlich verringert er alleine durch die Geschwindigkeit die Chance auf körperliche Unversehrtheit der anderen Teilnehmer. Freiheit und Unversehrtheit sind übrigens beide in Artikel 2 des Grundgesetzes…
Zum zweiten – Tempo 30. Tatsächlich werden Debatten gerne aufgrund des Status Quo geführt, dieser aber überbetont.
Der Status Quo muss betrachtet werden – wenn man etwas ändert, dann müssen die Kosten für die Änderung mit eingepreist werden. Wobei die Vorteile häufig langfristig wirken, die Kosten aber in diesem Fall einmalig wären (Schilder und Umgewöhnungsphase)
Was beim Status Quo aber gefühlsmässig mitschwingt ist: „Das machen wir schon immer so. Das muss gut sein. Da gibt es ja auch Gründe für.“
Tatsächlich gibt es die nicht: Tempo 50 war eine willkürliche Festlegung.
Tempo 50 wurde 1957 eingeführt. Warum gerade Tempo 50 und nicht 40 oder 60? Es gab (und gibt) da keine optimale Zahl zwischen unterschiedlichen Anforderungen von Verkehrsteilnehmern verschiedener Art (und Anwohner kommen ja noch dazu). Man hat Tempo 50 eingeführt, weil man sich drauf einigen konnte. Man hat das gemacht wegen der vielen Straßenverkehrstoten. Allerdings mit mäßigem Erfolg, die Todeszahlen stiegen erstmal. Man hätte also aus wissenschaftlicher Sicht damals schon nachsteuern müssen.
Dann gibt es auch die Aussage: der Schadstoffausstoß bei Tempo 30 ist weitaus schlimmer als bei Tempo 50, weil die Motoren auf Tempo 50 optimiert sind.
Nehmen wir mal an, das würde stimmen. Selbst dann fallen zwei Sachen auf: 1. Das ist dann kein Naturgesetz, sondern menschliches Machwerk. 2. Wer um Himmelswillen geht eigentlich davon aus, dass man in größeren Städten tagsüber Tempo 50 schafft?
Anders gesagt: wenn man eine Betrachtung zwischen Tempo 30 und Tempo 50 anstellt, dann sollte man wirklich nur die Umstellungskosten betrachten bei einem Wechsel des Status Quo statt diesen als Blockade für die Diskussion zu nehmen.
Übrigens mal eine kleine Rechnung für Mörfelden: Tempo 30 statt Tempo 50 – wenn man Bremsvorgänge und so außer Acht lässt, braucht man vom Schlichterkreisel bis zur Ampel Gerauer Straße 230 Sekunden mit Tempo 30 und 138 Sekunden mit Tempo 50 – also satte 90 Sekunden Unterschied. Mit Tempo 100 werden es nur noch 70 Sekunden! Man spart also 160 Sekunden. Wobei mich interessieren würde, wie wahrscheinlich jemand mit Tempo 100 durch einen der Kreisel kommt, wenn er nicht geradeaus will…
Und diese Zeitersparnis muss man halt in Beziehung setzen zu höherem Unfallrisiko, höheren Schäden, höherem Lärm etc. Und dann wird es gemein: es gibt da keine Formel für. Sondern die Gesellschaft muss entscheiden, wie sie die verschiedenen Punkte gewichtet. Nur wäre mir lieb, wenn die Gesellschaft anhand der Punkte unterscheidet und nicht anhand von „Das haben wir schon immer so gemacht.“