Radführerschein

Es gibt immer wieder Leute, die fordern, dass Radfahrer doch endlich einen Führerschein machen müssten. Das ist erstmal eine schöne populistische Forderung – gucken wir mal nach Fakten.

1. Theorie: Autofahrer machen einen Führerschein, um die Straßenverkehrsordnung zu lernen.

Das klingt gut, ist aber nicht so. Surprise: alle, die sich im Straßenverkehr bewegen, müssen sich an die Straßenverkehrsordnung halten und sie folgerichtig kennen. Das ist wie bei allen anderen Gesetzen. Ausnahme: bei Kindern wird sukzessive zur Einhaltung der Gesetze erzogen (deswegen sind sie auch erst mit 14 strafbar und fallen zunächst unter Jugendstrafrecht).

Warum also müssen Autofahrer einen Führerschein machen? Weil sie ein viel größeres Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer bedeuten. Die Anzahl der Fußgänger oder Radfahrer, die absichtlich oder fahrlässig anderer Verkehrsteilnehmer schwer verletzen oder töten, ist sehr viel geringer. (Da ist aber auch die verdammte Physik hinter)

2. Theorie: die Radfahrer haben keinen Führerschein.

Ungefähr 58 Millionen von 70 Mio Erwachsenen haben einen Führerschein. Das heißt, wir haben noch 12 Mio Erwachsene und 13 Mio Kinder, die keinen Führerschein haben. Viele Radfahrer haben tatsächlich einen Führerschein. Die Wahrscheinlichkeit, dass – wenn man sich über einen Radfahrer ärgert – dieser einen Führerschein hat, ist also gar nicht gering.

3. Theorie: Autofahrer kennen die Verkehrsregeln

Ich habe mich in den vergangenen Jahren mit einigen Verkehrsteilnehmern darüber unterhalten, wer eigentlich Vorrang hat, wenn der Autofahrer aus dem Kreisverkehr fährt und ein Fußgänger dort über die Straße gehen will. Oder was dieses Schild mit dem Fußgänger auf blau und Zusatzschild „Radfahrer frei“ für Konsequenzen hat. Oder wie man sich bei einem grünen Pfeil verhält.

Meine Theorie: nö, Autofahrer kennen die Verkehrsregeln nicht.

In der Praxis ist es so: der normale Autofahrer macht den Führerschein und weiß dann sehr viel über die Verkehrsregeln. Mit der Zeit vergisst er allerdings Teile des Wissens – selbst wenn es nur 2% pro Jahr ist, sind das schon nach 10 Jahren viele Prozente. Zusätzlich kommen Neuerungen in der Straßenverkehrsordnung, die auch für ihn gelten, die er aber nur selten mitbekommt.

Der Staat geht davon aus, dass der Autofahrer sich selbstverantwortlich auf dem aktuellen Stand hält. Das mit der Selbstverantwortung ist aber so eine Sache.

4. Praktische Umsetzung

Was für Konsequenzen gäbe es, wenn wir jetzt einen Führerschein fordern?

Wir brauchen eine Prüfungsstelle. Und es kostet was. Und wir müssen natürlich auch kontrollieren.

(Und wir müssten uns die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, von Autofahrern alle 10 Jahre eine Nachprüfung zu verlangen – wir wollen ja Risikobasiert vorgehen)

Und wir müssten Fragen klären:

Müssen Kinder auch den Führerschein machen? Wenn ja, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass einige nicht mehr Fahrradfahren werden/dürfen. Mehr Elterntaxi oder Busnutzung – obwohl wir eigentlich wollen, dass sich Kinder mehr bewegen.

Wir müssten Sonderregeln schaffen, dass Kinder ohne Führerschein vielleicht in Begleitung fahren dürfen – sonst 1. lernen die das nie und 2. dürfen sie dann bis zu einem gewissen Alter auch nicht mehr selbstständig fahren und binden damit Kapazitäten ihrer Eltern – selbst wenn der Weg eigentlich ungefährlich ist.

Es bleibt übrigens nicht bei Kindern: auch kognitiv beeinträchtigte Menschen, die Radfahren können, werden teilweise nicht in der Lage sein, die Prüfung zu machen.

Insofern: einen Führerschein für Radfahrer ist erstmal eine valide Forderung. Allerdings erscheint mir der erwartete Effekt sehr übertrieben, der Aufwand sehr hoch. Wer also die Forderung aufstellt, sollte sich gefälligst vorher noch ein paar Gedanken zur Durchführung und zu den Konsequenzen machen.